16 Uhr. Ich sitze in einer leicht ramschigen Hotelbar in einem kleinen Dorf in Nordspanien, irgendwo zwischen Bilbao und Santander, trinke ein in meinen Augen mehr als verdientes „Cerveza muy fria“, dazu gibt’s ein „Bocadillo de Jamon“. Hinter und vor dem Tresen riecht es nach Kartoffeln, Bratfett und Fisch.
Mit meinem mehr als gebrochenem Spanisch versuch ich das Gespräch der spanischen Truckies neben mir nachzuvollziehen. Zwei Jungs mit Goldkettchen, bei denen der Aufdruck auf ihren Shirts “work hard, live harder” wahrscheinlich Programm ist. Ich erahne, dass sie sich über ihre Arbeit unterhalten, sie fahren Fisch durch Kantabrien und das Baskenland auf der Autovia A-8, oder so ähnlich. Auch ich war die letzten zwei Tage entlang dieser Schnellstraße unterwegs, allerdings nicht im klimatisierten Fahrerhaus, sondern zu Fuß.
Seit 8 Tagen bin ich schon unterwegs auf dem Jacopsweg, gestartet in Irun, direkt an der französischen Grenze hinter den Pyrenäen. Eigentlich wollte ich zur nächsten Herberge, die nur noch läppische 5 km von meinem jetzigen Standort entfernt liegt, doch nach 3 stündigem Lauf bei 25 Grad auf asphaltierter Straße streikten meine Beine und das Hotel unweit der Schnellstraße rettete mich vor einem Hitzekoller.
Die Federn des Barhockers mit aufgeplatzten roten Kissen unter mir quietschen. Mein Blick schweift zum bunten Spielautomat. So ein Automat, auf dem man games of thrones- artige Games mit niedrigerem Niveau spielen kann, steht in jeder spanischen Bar. Spielen tut keiner. Mein Blick bleibt am Fernseher in der rechten Ecke über der Tür hängen. Der spanische Nachrichtensender zeigt Bilder aus Nizza, Amateuraufnahmen des durch die Strandpromenade rasenden Lastwagens, der 80 Menschen in den Tod riss. Ich spür ein leichtes Ziehen im Bauch und kriege Gänsehaut. Letztes Jahr noch spazierte ich an der Strandpromenda entlang, ich und meine Fahrerin von Blablacar machten auf der Durchreise von Marseille zum Flughafen in Nizza eine Pause. Wir waren in bester Stimmung und sie ließ sich aus über die angebliche oberflächliche Art Nizzeanischer Männer.
Ich versuche, meine Aufmerksamkeit auf die Tortillas hinter der Glasscheibe vor mir zu lenken. Das Ziehen im Bauch sagt mir sicher nur, dass ich jetzt ein gutes Stück davon vertragen könnte. Truckie No.1 steht auf und schaltet um. Jetzt zeigt der Bildschirm Stiere, eine ganze Herde, die in engen, staubigen Gassen hinter schreienden Männern herrennt. Man sieht, wie ein massiger Torro einen Mann gegen die Wand quetscht. San Fermin nennt sich das verrückte Spektakel in Pamplona. Der Kontrast zum vorher Gesehenen könnte nicht größer sein. Was der Mensch sich selbst antut für ein bisschen aufputschendes Andrenalin, denk ich.
Wieder einer dieser Vanitas-Momente. Viele davon habe ich in den letzten Tagen erlebt. Der Jacopsweg in Nordspanien lädt gerade dazu ein. Denn das wandern durch die wunderschöne Küstenlandschaft ist ein bisschen wie das Leben sein sollte. Intensiv und routiniert. Hart und steinig, kontrastreich und manchmal eben auch unglaublich schön. Es gibt diese blöden Momente, in denen ich alleine im strömenden Regen durch den Wald laufe und auf matschigem Boden dahinschlitter. Es gibt aber auch Augenblicke, wo ich die Sonne beim Aufgehen über dem azurblauen Meer begleite und mich von den satten Farben der baskischen Landschaft bezaubern lasse.
Und dann sind da die Mitwanderer, die ich immer wieder abends in den Herbergen treffe oder wenn ich’s am meisten nötig hab, nach einem stundenlangen Solotripp durch strömenden Regen im Wald. Ich führe interessante Gespräche, die schnell die Smalltalk-Komfortzone verlassen und die die Kilometer zu Metern schrumpfen lassen. Das scheint der Spirit des Iacopsweg zu sein, der alle Beteiligten, ob Wanderer oder einheimische Spanier zu Offenheit und Toleranz anregt. Eine Kultur, die Werte achtet wie Gastfreundschaft und Lebensfreude. Oft stehe ich ratlos mit meiner Karte an einer Wegkreuzung und werde von Spaniern angesprochen. Neben dem richtigen Weg erfahr ich dann meistens noch einen Witz, die Familiengeschichte meines Gesprächspartners und eine geschichtliche Anekdote über die Stadt. In Deutschland eher undenkbar. Und gerade diese Begegnungen mit Menschen, die man im Alltag im Dunstkreis seiner Freunde und Bekannte nie getroffen hätte, machen den Weg aus.
In Bilbao gehe ich ins Guggenheim Museum. Im Erdgeschoss ist eine ganze Halle dem amerikanischen Künstler Richard Serra und seinem Skulpturenwerk „the matter of time“ gewidmet. Ich schreite fast andächtig durch die nicht enden wollenden Windungen der Stahlschnecken, die zu keinem klaren Ziel führen, sondern im leeren Raum münden und wieder heraus führen. Vor dem Weg hätte ich die Skulptur und ihre simple Aussage wahrscheinlich unterschätzt. Eine gut gelebte Zeit erscheint im Augenblick intensiv und zeitlos, in der Dauer geht sie schnell vorüber und im Rückblick wirkt sie oft so lang. Das sind kostbare Momente, denk ich und beiß in mein Schinken-Sandwich.
3 Comments
Marine
August 10, 2016 at 7:38 amTu écris bien Lisa ! C’était intéressant de te lire après le récit que tu m’as fait de ton voyage.Tout cela combiné aux photos me font mieux comprendre pourquoi des gens font ce chemin de Compostelle.
lisasteinbach
August 10, 2016 at 4:33 pmmerci Marine, on pourrait faire le camino francés un jour
Vicente Peña García
August 17, 2016 at 10:28 amMuy buenas las fotos, y el texto también (lo he traducido xD), escribes muy bien 🙂