inspiriert

Emilio Stefanelli: La chasse aux papillons

atelier

Herbst 2013, Rom. Ich bin zum ersten Mal in der ewigen Stadt und suche möglichst schnell nach dem höchsten, zu Fuß erreichbaren Punkt, um meinem nur schwach ausgeprägten Orientierungssinn ein bisschen Unterstützung zu bieten. Es geht also direkt nach dem Aufstehen rauf aufs Dach unseres achtstöckigen Wohnblocks im Viertel Trieste, nördlich der Altstadt. Oben angekommen, schweift mein Blick über das Heer von stattlichen Pinien und roten Ziegeldächern bis mich eine Stimme abrupt aus meinen Gedanken reißt: “Che cosa stai facendo qui, was machst du hier“? Ich dreh mich um und sehe mich einem kleinen, schmächtigen Mann mit Glatze und Brille gegenüber. Seine Erscheinung mit ausgewaschenen Sportshirt und Birkenstock-Sandalen erinnert mich an deutsche Rentner in Italien, die ihrem Dolce Vita im Wohnmobil frönen, und passt so gar nicht zu den snobby Zeitgenossen, die ich bisher in der ewigen Stadt getroffen habe – irgendwie authentisch und nett. So komme ich mit unserem Nachbarn Emilio Stefanelli ins Gespräch, ein Künstler, der mir eine Tour durch sein Atelier im Dachgeschoss anbietet. Dort schaffe er einzigartige Kunstwerke aus Glas.

Beim Betreten führt kein Blick vorbei an der circa drei Meter hohen Lampe aus Tiffanyglas und Metall. Emilio erzählt, dass die Materialien selbst schon eine kleine Weltreise hinter sich haben. Die kostbaren Glasplatten ordert er aus den USA, der gusseiserne Lampenständer stammt aus Aachen. Normalerweise ersteht er die Materialien auf Flohmärkten und in Antiquitätenläden, da reist er dann schon gerne mal nach Deutschland. Die Lampe fasziniert durch ihre chromatische Brillanz und dynamische Farbgebung, je nach Lichteinfall und Tageszeit entstehen andere Lichtreflexe, Schatten und Farbeffekte.

1944 in Calabrien geboren, studierte Emilio Stefanelli zunächst Ingenieurwissenschaften in Rom. Seine Liebe zur Entomologie, Insektenkunde und Botanik führen ihn daraufhin um die ganze Welt, vorzugsweise nach Südamerika. So ähneln seine großformatigen Gemälde aus Glass, Kupfer und Acryl-Harzkleber Mikrokosmen, Amöben und Unterwasserkulturen, aber auch religiösen Szenen. Er benutzt dabei “traditionellere” Handwerkstechniken der Glasverarbeitung wie Tiffany und Malerei auf Acrylglas, seine im Studium erworbenen technischen Fähigkeiten kommen ihm hier durchaus zugute. Er zeigt mir seine über die Jahre wachsende Sammlung von feinsäuberlich in Schubladen und Gefäßen geordneten Perlen, Industriegesteinen, Granitstücken und Opalinglasplatten, die er zuschneidet, zurechtschleift und mit Acryl-Harzkleber auf die Glasplatten klebt.

Vom Dachgeschoss geht es weiter in sein Apartment, ein Kuriositätenkabinett vollgestellt mit Artefakten, Sammlungen von Elfenbeinfiguren und Glaskreationen. Falls irgendwer mal auf die Idee kommt, Huysman’s Dandyroman “à rebours” zu verfilmen, Stefanelli’s Apartment würde sich bestens eignen. Was in keiner gutbürgerlichen Wunderkammer im 18/19. Jahrhundert fehlen durfte, nämlich leicht makabre Kuriositäten, findet sich in seinen Gemächern in Form einer großen Schmetterlings- und Lepidopterensammlung wieder. Hat ja heutzutage auch nicht mehr jeder, zum Glück.

Berthe Morisot, die Schmetterlingsjagd, 1873

Das Schmetterlingssammeln als Mittel zur wissenschaftlichen Benennung und Archivierung von Exponaten, der Nomenklatur, erlebte von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts seine Renaissance und blieb noch weit darüber hinaus ein durchaus beliebtes Hobby und Inspirationsquelle für Künstler (z.B. Georges Brassens’Chanson aus den 50ern) – bis die Leuten irgendwann im Spätkapitalismus in den 70er Jahren wohl ein ethisches Bewusstsein und einen Sinn für Artenschutz und ökologisches Gleichgewicht entwickelten. Heute finden sich die meisten Exponate als geschichtsbiologisches Archiv in Naturkundemuseen, wo sie zur Erforschung der historischen Verbreitung der Falter dienen oder werden als seltene Exponate von Hobbysammlern wie Emilio auf Messen oder bei Ebay getauscht. Der seltene und größte Schmetterling der Welt, Thysania agrippina, kann schon mal mehrere hundert Euro kosten.

Franzosen auf der Schmetterlingsjagd in Pakistan

Mir ist auf jeden Fall nicht ganz wohl dabei, als ich Stefanelli’s Ausführungen zu seinem skurrilen Hobby folge. Die Exponate seiner Trockensammlungen sind minutiös in Setzkästen aufgehoben und nach Männlein – Weiblein und Fundort sortiert. Stolz zeigt er mir sein seltenstes Exemplar, einen Zwitter, im Fachjargon auch Gynander genannt, bei dem männliche und weibliche Eigenschaften nebeneinander auftreten. Konservierungs- und Präparationsstoffe, die den Motten- und Sammlungsschädlingsbefall verhindern sollen wie Thymol, kauft er auf Vorrat in der Rue du bac in Paris, beim Traditionshaus der Entomologie und Taxidermie, Deyrolle.

Wer’s nicht kennt: 1888 gegründet wurde das Hôtel particulier Anzugspunkt für Surrealisten wie Bernard Buffet, Mathieu, Salvador Dali und André Breton und ist auch heute noch beliebte Film- und Ausstellungslocation: Eine Szene von Woody Allen’s Midnight in Paris spielt in dem Traditionshaus der besonderen Art.

Voll von Eindrücken und Schmetterlingen im Kopf (leider nicht im Bauch, der knurrt) verlass ich gegen Ende des Nachmittags Stefanelli’s Apartment. Wer hätte gedacht, dass der spontane Ausflug aufs Dach mir die Türen in die Welt dieses vergessenen Hobbys öffnen würde. Doch gefallen mir Stefanelli’s Tiffanylampen um einiges mehr als die armen Dinger im Setzkasten. Wenn Schmetterlinge, dann bitte lebendig, im Tropenhaus oder von mir aus auch als Print auf dem Jutebeutel. In Brassens’ Chanson trifft ein junger Mann auf dem Weg zum Schmetterlingsfang ein Mädchen. Die beiden begeben sich zusammen auf die “Jagd”, verlieben sich jedoch ineinander und sind so abgelenkt, dass sie des Schmetterlingsfangens müßig werden…

You Might Also Like

No Comments

Leave a Reply